Gastbeitrag: Weichen von Fx Bricks
von Peer Schaefer
LEGO führt in seiner Produktpalette derzeit (2023) nur noch nicht-stromführende Kunststoffschienen, so dass alle aktuellen LEGO-Eisenbahnen mit Batterien bzw. Akkus betrieben werden müssen. Dies weicht vom üblichen Funktionsprinzip von Modellbahnen ab, die den benötigten Fahrstrom üblicherweise direkt über die Schienen beziehen und damit von Batterielaufzeiten unabhängig sind. Stromführende LEGO-Schienen waren hingegen bis vor kurzem nur noch gebraucht über Bricklink oder andere Handelsplattformen erhältlich, inzwischen bietet aber die kanadische Firma Fx Bricks wieder stromführende Schienen an, die mit den Schienen von LEGO problemlos kombinierbar sind. Während LEGO nur Kurven mit einem (sehr engen) Kreisradius von 40 Noppen anbietet, enthält das Produktangebot von Fx Bricks auch Kurven mit Radien von 56, 72, 88 und 104 Noppen (Produktbezeichnungen jeweils R56, R72, R88 und R104). Dies ermöglicht erheblich realistischere und optisch ansprechendere Kurvenführungen. Radien von 120, 136 und 152 Noppen sind in Planung. Auch Geraden mit Längen von 8 und 32 Noppen sind erhältlich (Produktbezeichnungen jeweils S8 und S32), Geraden mit einer Länge von 16 Noppen sind in Planung.
Die Auslieferung der von Fx Bricks schon lange angekündigten stromführenden Weichen hat sich mehrmals verzögert und die Geduld aller Fans auf eine schwere Probe gestellt, seit Anfang November sind sie nun aber tatsächlich erhältlich (in der EU zollfrei über den Online-Shop von JB-Spielwaren). Es handelt sich – wie bei den Weichen von LEGO – um einfache Weichen mit einem geraden Stammgleis und einem abzweigenden Zweiggleis (eine Y-Weiche ist offenbar perspektivisch geplant, im aktuellen Katalog aber nicht enthalten). Ansonsten weicht die Geometrie aber erheblich von der Geometrie der LEGO-Weichen ab. Insbesondere hat das abzweigende Gleis einen Kurvenradius von 104 Noppen, nicht wie bei LEGO von 40 Noppen, so dass das abzweigende Gleis erheblich weicher geschwungen ist. Das geradeaus führende Stammgleis hat eine Länge von insgesamt 40 Noppen (daher die Produktbezeichnung „P40“, wobei das „P“ für die britische Weichenbezeichnung „point“ (= Weiche) steht). Es sind sowohl linkshändige als auch rechtshändige Weichen verfügbar (P40L bzw. P40R). Anders als die originalen LEGO-Weichen verfügen die Weichen von Fx Bricks nicht nur über eine sondern über zwei bewegliche Zungen. Dies ist nicht nur vorbildgetreuer, sondern sorgt auch für mehr Laufruhe des rollenden Materials beim Überqueren der Weiche. Zum mechanischen Verstellen der Zungen ist kein Hebel o.ä. vorgesehen, sondern es steht ein horizontaler, unter der Gleisebene verbauter Schieber zur Verfügung. Der Schieber verfügt auf jeder Seite über ein Loch, das kompatibel zum LEGO-Technic-System ist, so dass dort mittels eines Pins entsprechende mechanische Elemente angebaut werden können (ein Hebel, eine motorbetriebene Stange, usw.). Bei den aktuell ausgelieferten Weichen ist der Schieber ein klein wenig schwergängig und rastet nur mit wenig Kraft ein, da aber kein Federmechanismus verbaut ist, besteht nicht die Gefahr, dass der Schieber in irgendeine „Ausgangsstellung“ zurückspringt.
Das abzweigende Gleis erreicht über die Weichenlänge einen Winkel von 22,62° und damit minimal mehr als zwei R104-Kurven (diese erreichen 2 x 11,25° = 22,5°). Diese ungewöhnliche Geometrie bietet den großen Vorteil, dass zwei Weichen gegenläufig verbaut werden können, um ohne Zwischenstück einen Wechsel zwischen zwei Gleisen mit einem Versatz von genau 16 Noppen zu ermöglichen. Die Differenz zwischen 22,62° und 22,5° ist dabei klein genug, um ohne größere Spannungen eine P40-Weiche und sechs R104-Kurven zu einem Viertelkreis kombinieren zu können. Soll das abzweigende Gleis wieder parallel zum Stammgleis geführt werden, ist eine Rückführkurve („return curve“) erforderlich. Da die üblichen R56, R72, R88 und R104-Kurven jeweils einen Winkel von 22,5° überdecken, gibt es für diesen Zweck ein spezielles R64-Kurvenstück mit einem angepassten Winkel von 22,62°, dessen Länge so berechnet ist, dass zwischen Stamm- und Zweiggleis gemessen von Gleismitte zu Gleismitte ein Abstand von genau 16 Noppen entsteht (ebenso wie bei den originalen LEGO-Weichen). Werden an das abzweigende Gleis ohne vorherige Rückführkurve Geraden oder eine weitere Weiche angebaut, entstehen auf Grund des Winkels aus der Perspektive des Stammgleises Streckenlängen mit gebrochener Noppenlänge. Um diese zurück in das Noppenraster zu führen, bietet Fx Bricks spezielle Schienenelemente mit einer „gebrochenen“ Länge von 1,6 und 3,2 Noppen an. Um im Anschluss an eine P40-Weiche eine kurvenfreie Überfahrt des Nachbargleises zu ermöglichen wäre eine Kreuzung mit einem Winkel von 22,62° wünschenswert. Eine solche war in einer Produktstudie von Fx Bricks aus dem Jahr 2019 auch noch enthalten, scheint derzeit aber nicht zu den prioritären Produktplanungen von Fx Bricks zu gehören.
Die Qualität der von Fx Bricks angebotenen Schienen ist hervorragend und steht der Qualität der Originalschienen aus Billund in nichts nach. Die Kunststoffbasis der Schienen wird im Spritzgussverfahren hergestellt (kein 3D-Druck), der Kunststoff hat eine präzise abgestimmte dunkelgraue Farbe (Bricklink-Bezeichnung „dark bluish gray“) und die stromführenden Elemente sind aus einer witterungsbeständigen Kupfer-Beryllium-Legierung gefertigt. Besonders hervorzuheben ist die hohe Fertigungspräzision und die hervorragende Klemmfähigkeit, die es ermöglichen, die Schienenelemente in eine Bettung aus LEGO-Steinen (engl. „ballast“) einzubauen. Die Weichen verfügen auf der Unterseite über kleine Schiebeschalter („jumper“), mit denen das Stammgleis und das abzweigende Gleis elektrisch voneinander isoliert oder miteinander verbunden werden können. Dies bietet eine hohe Flexibilität bei Aufbau und Betrieb der Schienenanlage, wenn die Motorsteuerung über mehrere zentrale Transformatoren erfolgen soll. Seine volle Leistungsfähigkeit wird das Schienensystem von Fx Bricks aber erst entfalten können, wenn die vorgesehenen rollenden Stromabnehmer lieferbar sind, also Metallräder, die Strom von den stromführenden Schienen abnehmen können. Dies bietet die Möglichkeit, die stromführenden Schienen dauerhaft unter der vollen 9V-Spannung zu betreiben und die Motorsteuerung nicht über einen zentralen Transformator zu erledigen, sondern – wie auch bei den Produkten von LEGO über eine drahtlose Fernsteuerung. Insofern würden die stromführenden Schienen quasi als „Batterie-Ersatz“ mit unbegrenzter Laufzeit fungieren. Ein konkretes Verfügbarkeitsdatum für die Metallräder hat Fx Bricks noch nicht benannt, es ist aber erkennbar, dass diese Räder zusammen mit einem ebenfalls geplanten Motor ein zentrales Element des Produktportfolios sein sollen.
Der größte Wermutstropfen bei den Produkten von Fx Bricks ist der Preis der Kurven und vor allem der Weichen. Die Preise der Geraden sind (gerechnet „pro Noppe“) im Vergleich zu den Gebrauchtpreisen bei Bricklink oder eBay noch recht angemessen für ein neuwertiges und qualitativ hochwertiges Produkt (bei JB-Spielwaren erhält man für ca. 75 Euro acht S32-Geraden mit insgesamt 256 Noppen, das ist insgesamt ok). Die Preise der Kurven sind bereits etwas höher und machen insbesondere größere Kreise recht kostspielig (ab einem Radius von R88 werden für einen Vollkreis 32 Kurvenelemente benötigt, das entspricht vier Schachteln mit jeweils acht Elementen). Die Weichen bilden dann die Spitze der Preispyramide mit ca. 170 Euro für ein Paar. Die speziellen Rückführkurven (acht R64 für ca. 80 Euro) und die kurzen Elemente für gebrochene Längen (10 x 1,6 Noppen und 10 x 3,2 Noppen für insgesamt ca. 90 Euro) kommen noch hinzu. Das sind sehr stolze Preise. Dabei gehe ich davon aus, dass Fx Bricks im Prinzip eine sehr faire Preispolitik fährt, aber die lange Entwicklungszeit und diverse Fertigungs- und Transportprobleme (u.a. durch Corona) haben zweifellos die internen Kosten durch die Decke getrieben und zwingen die Firma nun offenbar dazu, dies an die Kunden weiterzugeben. Es bleibt zu hoffen, dass sich dies zukünftig normalisiert und dass bei etablierten Produktionsketten die Preise perspektivisch bei den Kurven und vor allem bei den Weichen sinken werden. Denn diese durchdachten und hervorragenden Produkte machen einen Riesenspaß und verdienen es, einen breiten Markt zu erobern.
Überlegungen zur Weichengeometrie
Um einen vollen Schienenkreis aus Kurvenelementen von Fx Bricks zusammenzusetzen, werden bis zu einem Radius von 72 Noppen insgesamt 16 Elemente und ab einem Radius von 88 Noppen insgesamt 32 Elementen benötigt. Daraus ergibt sich für die einzelnen Kurvenelemente ein Winkel von 22,5° (360°:16) beziehungsweise 11,25° (360°:32). Auf den ersten Blick hätte es daher nahegelegen, bei der P40-Weiche von Fx Bricks, deren abzweigendes Gleis einen Kurvenradius von 104 Noppen nachbildet, für das abzweigende Gleis ebenfalls einen Schlusswinkel von 22,5° zu wählen. Aus Gründen der Anschlussgeometrie, die Fx Bricks in einem eigenen Artikel „Why 22.62 degrees?“ ausführlich erläutert hat, hat Fx Bricks sich jedoch dafür entschieden, die P40-Weiche in einem Schlusswinkel von 22,62° auslaufen zu lassen. Um das abzweigende Gleis wieder parallel zum Hauptgleis zu führen, ist daher eine Rückführkurve "R64P Curve Track 8864" mit einem Winkel von 22,62° erforderlich. Dies ist eine geometrisch fehlerfreie Lösung, die jedoch den Nachteil hat, dass die R64P-Kurve „nur“ einen Radius von 64 Noppen aufweist. Dadurch ist die Rückführkurve enger geführt als die Kurve des abzweigenden Gleises der Weiche. Angesichts des geringen Unterschiedes zwischen 22,5° und 22,62° stellt sich die Frage, ob das Material genügend Toleranz aufweist, um statt der R64P-Kurve auch zwei P104-Kurven verwendet werden könnten?
In dem bereits erwähnten Artikel „Why 22.62 degrees?“ findet sich der Hinweis, dass eine solche Lösung unter Inkaufnahme einer gewissen Spannung möglich sein sollte. Dieser Hinweis hat meine Neugier geweckt. Bei den sich anschließenden Experimenten hat sich herausgestellt, dass der vertikale Fehler (ca. 0,08 mm) zu vernachlässigen ist, der horizontale Fehler (ca. 1,76 mm) jedoch zu groß ist, um die beiden R104-Kurven sofort wieder an ein parallel zum Hauptgleis geführtes Gleis anzuschließen. Es bot sich an, die verbleibende Lücke in Anlehnung an die Kurventechnik von Holger Matthes zu schließen. Weiteres Experimentieren führte zu der Erkenntnis, dass bei der Verwendung dieser Technik ein Schienenelement nicht ausreicht, um die Differenz aufzunehmen. Zwei S8-Elemente von FX Bricks boten dann aber die erforderliche Flexibilität, ohne den Weichenbereich über Gebühr zu verlängern. Die Gesamtlänge des Weichenbereichs mit der eigentlichen P40-Weiche, den zwei R104-Kurvenelementen und den zwei S8-Geradenelementen weist dann eine Gesamtlänge von 96 Noppen (entsprechend drei Modulen á 32x32 Noppen) auf.
Peer Schaefer | November 2023
Links:
Mit Peer stand ich während der langen Wartezeit auf die Fx Bricks Weichen immer wieder im regen E-Mail-Ausstausch. Danke Peer für Deine Eindrücke.